Das CLICK! Praxisforum 2024 startet mit einem Vortrag von Dr. Annemarie Schmoll vom Deutschen Jugend Institut. Sie stellte dem gefüllten Saal im mon ami Weimar das Phänomen der Kinderdelinquenz vor. Der Vortrag betrachtete zunächst das Phänomen der Delinquenz, insbesondere der Gewaltdelinquenz im Kindesalter im Spiegel amtlicher Daten und kriminologischer Erkenntnisse und unter Einordnung in den zeitlichen Verlauf. Hierfür führte Frau Dr. Schmoll knapp in entsprechendes kriminologisches Basiswissen ein – so sei Kinderdelinquenz etwa ubiquitär, episodenhaft und passager, im Regelfall von selbst aufhörend, überwiegend bagatellhaft und nur bei einer kleinen Gruppe intensiv im Sinne mehrerer Taten. Dann spielten hintergründig häufig komplexe Problemlagen wie eigene Gewalterfahrungen, soziale Randständigkeit oder Schulprobleme eine Rolle. Die Bewältigung dieser Probleme werde dabei (zusätzlich) erschwert, indem wichtige Schutzfaktoren fehlen. Mit Blick auf das Ausmaß und die Struktur von Kinderdelinquenz erfolgte sodann eine Betrachtung der Zahlen aus der kürzlich veröffentlichten Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für Erkenntnisse aus dem Hellfeld sowie aus dem Niedersachsensurvey für Erkenntnisse aus dem relativen Dunkelfeld (Schüler:innenbefragungen in der 9. Jahrgangsstufe). Während in der PKS zum Jahr 2022 (genauer im Zeitreihenvergleich der Tatverdächtigenbelastungszahl TVBZ, der Anzahl an Tatverdächtigen je 100.000 Einwohnern) ein Anstieg der Gewaltkriminalität in der Altersklasse der Kinder (sowie der Jugendlichen und Heranwachsenden) seit der Corona-Pandemie zu beobachten ist, zeigen die für Niedersachsen repräsentativen Daten aus dem relativen Dunkelfeld diesen Trend nicht gleichermaßen. Hier gebe es keine Anzeichen für einen Anstieg der Kinder-Gewaltdelinquenz.
Kinderdelinquenz – aktuelle Entwicklungen, kriminologische Erkenntnisse, Umgang und Herausforderungen
Nicht zu vernachlässigen sei übergreifend auch der weite Blick auf die zeitliche Entwicklung und der Befund, dass die aktuellen Zahlen im Bereich der Jugend- und Heranwachsenden weit unter dem Niveau von vor zwanzig Jahren liegen und bei Kindern – entgegen dem Eindruck mancher Berichterstattungen – über diesen Gesamtzeitraum recht gleichbleibend verlaufen. Mögliche Gründe für die im Hellfeld verzeichnete Zunahme der Kinderdelinquenz seit der Corona-Pandemie sind u.a. die zeitweise Beeinträchtigung der Orte sozialen Lernens, Verschiebungs- und Nachholeffekte, eine erhöhte Sensibilisierung der Bevölkerung für Taten, veränderte psychische Belastungen und eine Zunahme von Zukunftsängsten und Frustrationen. Abschließend stellte Frau Dr. Schmoll für den (institutionellen) Umgang mit dem betrachteten Phänomen den Grundsatz voran, auf normales Verhalten normal zu reagieren. Dies bedeute in erster Linie Schutz und Erziehung in Reaktion auf delinquentes Verhalten von Kindern, wofür zunächst die Sorgeberechtigten, anschließend das Jugendamt bzw. die Kinder- und Jugendhilfe und zuletzt das Familiengericht zuständig sind. Mit einer umfassenden Auflistung an zu minimierenden Risikofaktoren und zu stärkenden Schutzfaktoren wurde ein Bogen zu dem bereits anfänglichen Appell geschlagen, jungen Menschen ein gelingendes Aufwachsen zu ermöglichen. Als Prävention ist dies eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, in allen Lebenswelten des Aufwachsens und unter Einbezug aller zentralen Akteur:innen.
Workshop C: Angebote für strafunmündige Kinder – Praxis, Kriterien und Potenziale
Aufhänger für den thematisch anschließenden Workshop C waren einerseits – angesichts der gehäuften Berichterstattungen zum Thema Kinderdelinquenz – die Frage, was das Projekt CLICK! beitragen kann, um hier Verbesserung zu erzielen, sowie andererseits Rückmeldungen aus der Praxis zu vorhandenen Fällen und zeitgleicher Handlungsunklarheit. Der Workshop verstand sich entsprechend als ergebnisoffener Versuch in die Praxis zu schauen. Aus regional gebildeten Murmelgruppen zu Fragen nach vorhandenen und bewährten Angeboten wurden folgende Ergebnisse zusammengetragen: Die meisten – den Teilnehmenden bekannten – Angebote laufen über den ASD in Formaten der Einzel- und Gruppenarbeit, der Elternarbeit und der Schulsozialarbeit. Zum Teil werden bereits auch die JuHiS informativ-beratend tätig. Wie sich herausstellte, hängt die Nutzung dieser Angebote jedoch stark von der jeweiligen Meldepraxis der Polizei ab. Zum Teil kommt das vorhandene Angebot daher erst bei „gravierenden Fällen“ oder der Häufung von Fällen zum Einsatz. Kriterien für besonders bewährte Angebote scheinen eine schnelle Intervention, der Einbezug der Eltern (im Sinne einer Einladung, Aufklärung und Beratung sowie der Vermittlung weiterer niedrigschwelliger Beratungsstellen, gerne auch in Kooperation mit dem ASD oder Streetwork) als auch die Präventionsarbeit an Schulen (insbesondere bei Einbindung in Projektkontexte) zu sein. Nicht erreicht werden – nach den Erfahrungen im Workshop – mit diesen Angeboten jedoch Personen, die etwa durch einen ungeklärten Wohnsitz durch das Raster fallen, und (überwiegend) nicht geleistet werden kann durch diese Angebote etwa ein geschlechtsspezifischer Ansatz, die Bearbeitung der Thematik sexuell übergriffigen Verhaltens oder eine explizite Passung für u14. Im Anschluss an diesen Praxisblick gewährte Frau Dr. Schmoll einen DJI-Einblick in Good-Practice-Beispiele. Dabei wurden die Hinweise vorangestellt, dass in der Praxis der Kriminalitätsprävention sowohl auf die Nachhaltigkeit von Projektansätzen als auch die Übertragbarkeit bewährter Ansätze auf andere Settings oder hier die Zielgruppe der Kinder geachtet werden müsse. Eine gute Angebotsübersicht biete die Grüne Liste Prävention des LPR Niedersachsen – gegliedert in drei Stufen bezüglich des Nachweises ihrer Wirksamkeit finden sich dort Programme zu verschiedenen Präventionsthemen gelistet. Zuletzt richtete sich der Blick auf die bei CLICK! gemachten Erfahrungen sowie potenzielle Einsatzmöglichkeiten. Herr Speer wies neben allgemeinen Erfahrungswerten auf folgende spezifische hin: Einzelfallanfragen zur Teilnahme delinquenter Kinder sind vorhanden, Trainingsteilnahmen finden bereits auch jenseits gerichtlicher oder staatsanwaltschaftlicher Weisungen statt und verlaufen bei Anbindung an eine Fachkraft in der Regel vergleichbar erfolgreich, aus dem Kontext Schule liegt nach vereinzeltem Trainingseinsatz positives Feedback vor. In der abschließend erneut geöffneten Workshop-Runde ergaben sich als vorstellbare Einsatzszenarien für CLICK! mit Kindern konkret die Jugendsozialarbeit an Schulen im Themenbereich Gewalt und recht universell die Arbeit mit dem Themenfeld Ausreden. Erfordernisse könnten hierfür die Koordinierung mit dem ASD und Materialanpassungen für die Zielgruppe u14 sein – zuvorderst aber die Einzelfallprüfung und -Absprache sowie ggf. Regelung der Begleitung.
Workshop A: Zwischen den Zeilen – Fallbesprechung, Erfahrungsaustausch, Evaluation
Im Workshop A haben Florian Schmidt und Julia König aus dem pädagogischen Team ihre Arbeit in der Trainingsbegleitung vorgestellt und kamen mit den Teilnehmer:innen über Erfahrungen in der Anwendung und analogen Begleitung in das Gespräch. Dafür illustrierten wir an fiktiven Chatverläufen die Kommunikation mit den Nutzer:innen des Trainings und tauschten uns über Parallelen und Unterschiede zur analogen Kommunikation aus. Im zweiten Teil standen individuelle Fragen zur Organisation und Umsetzung des Trainings der Workshopteilnehmenden im Vordergrund.
Workshop B: CLICK! ganz praktisch – von Anbahnung bis Abschluss
Im Workshop B hat Yasmin Mergen einen Überblick über die Funktionsweise, Inhalte und Abläufe des CLICK!-Trainings gegeben. Dazu wurden Fragen zu nötigen Absprachen zwischen CLICK!-Team und Fachkräften, der Accountvergabe und analogen Trainingsbegleitung besprochen. Viele Fragen hatten die Fachkräfte zum möglichen Einsatz im Kontext Schule – ein Bedarf, der sich bereits seit Längerem abzeichnet.
Wir blicken zufrieden und Stolz zurück auf den gelungen Fachaustausch zum Thema Kinderdelinquenz und sehen mit Zuversicht in die Zukunft der neuen Förderperiode von „Demokratie leben“ und damit auf das nächste Praxisforum 2025.